Da gibt es ein Gerücht…

Da gibt es ein Gerücht…

15.04.2022 //

Einer meiner Freunde hat mich neulich darauf aufmerksam gemacht, dass es ein bestimmtes Gerücht gibt, das momentan über ein kürzliches Erlebnis unseres neuen Bürgermeisters in Umlauf ist. Ich finde es immer schön, wenn mich meine Freunde über alles am Laufenden halten, was man so hört, denn davon lebt schließlich auch ein kommunalpolitischer Blog. Ob der Inhalt dieses Gerüchtes der Wahrheit entspricht oder nicht, sei dahingestellt. Ich werde jedenfalls nicht inhaltlich darauf eingehen, solange es sich dabei nur um eine Behauptung und nicht um eine bewiesene Tatsache handelt. Sollte es die Quellenlage aber hergeben, dass das Gerücht als Wahrheit bestätigt wird, greife ich den Inhalt auch gerne wieder auf – ich weiß auch schon wie ich es kommentieren und in welchen Kontext ich es setzen würde.

Der Grund, wieso ich an dieser Stelle überhaupt auf dieses Gerücht zu sprechen komme, ist das Wesen eines Gerüchtes an sich. Grob gesagt gehört ein Gerücht zum Waffenschrank der politischen Auseinandersetzung. Dabei verwendet irgendeine Person eine Geschichte, um damit eine andere Person anzupatzen oder schlecht zu reden, und trägt diese Geschichte unter dem Deckmantel der Anonymität („Man erzählt sich…“, „Es wird gesagt, dass…“, „Es scheint so zu sein, dass…“) an andere Personen weiter. Gerüchte können harmlos sein, sie können aber auch von so unterirdischer Boshaftigkeit geleitet sein, dass das in die Welt setzen eines Gerüchtes schon den Tatbestand der Kreditschädigung erfüllt.

Natürlich entstehen Gerüchte nicht immer aus niederen Motiven, vielfach sind sie auch Zufallsprodukte oder Kommunikationsunfälle. Solche entstehen etwa, wenn

  • ein Zuhörer die Aufmerksamkeitsspanne eines Backenhörnchens hat und nur die Hälfte des Gesprochenen wahrnimmt und dann die Geschichte auf eine Art weitererzählt, die durch die überhörten Passagen völlig entstellt und verdreht wird,
  • ein Mensch lediglich einen Wortfetzen auffängt und beginnt durch den kraftvollen Einsatz seiner Phantasie die Worte in einen Kontext zu setzen, von dem er vermutet, dass sie damit zu tun haben könnten oder
  • wenn ein Erzählender durch das Weglassen bestimmter Informationen sich so unklar ausdrückt, dass dem Zuhörer viel zu viel Spielraum gelassen wird, das Gehörte in alle möglichen Richtungen zu interpretieren.

Diese Aufzählung genießt nicht den Anspruch der Vollständigkeit, aber ich denke, die Leserschaft bekommt einen Eindruck, was ich unter einem Zufallsprodukt aus der Gerüchteküche verstehe. Natürlich kann ein Gerücht auch dann entstehen, wenn jemand eine visuelle Wahrnehmung hat, die in einen falschen Kontext gesetzt wird, es muss ja nicht immer das gesprochene Wort sein, das für Verwirrung und Gerüchte sorgt.

Ein gutes Beispiel, wie so ein Gerücht aufgrund einer Beobachtung entsteht, hat sich vor ein paar Jahren zugetragen, als die Umfahrungsstraße noch nicht eröffnet war und der Verkehr noch durch das Scharnitzer Ortsgebiet donnerte. Bürgermeisterin Isabella Blaha war eine Vorreiterin, wenn es darum ging, gemeinsame Aktivitäten mit dem Klimabündnis durchzuführen. Eine dieser Aktivitäten war die alljährliche Beteiligung am „autofreien Tag“, der vor allem von den Kindern des Dorfes mit Leben erfüllt wurde, insbesondere da sie an diesem Tag ihre Kreativität mit zahlreichen Straßenmalereien zeigen konnten. Nun begab es sich, dass kurzfristig auch Straßenmarkierer, die vom Land Tirol entsandt waren, in der Gemeinde die Markierungen in der Straßenmitte und am Rand der Hauptstraße erneuerten. Ein besonders aufmerksames Kind aus dem Unterdorf (damals ca. 5-6 Jahre alt) beobachtete diese Arbeiter ganz genau und hatte noch Straßenmalkreide zur Verfügung. Mit einer sehr guten Beobachtungsgabe beschloss der zeichnerisch begabte Bub diese Arbeit nachzumachen und fing an am breiten Gehsteig die Mittelstriche nachzuzeichnen – und zwar vom Unterdorf bis zur Raiffeisenbank. Geschickt wie er war, waren die Striche weiß, sehr gerade und auch in der Länge ziemlich präzise. Es dauerte aber nicht lange, da wurde die Bürgermeisterin schon von wütenden Gemeindebürgern kontaktiert, die ihr vorhielten, sie wolle den Gehsteig für Fußgänger derart reduzieren, dass nur mehr die Hälfte der Gehsteige für diese übrig bliebe und die andere Hälfte in Radwege umfunktioniert werde. Da sich die Bürgermeisterin selbst durch eine Unterhaltung mit den Straßenarbeitern und einer gleichzeitigen Vermessung in der Nähe der Aktivitäten des Kindes schmunzelnd davon überzeugen konnte, was wirklich hinter den Vorwürfen steckte, hatte sie schnell begriffen, was da als spätere Bürgerbeobachtung fehlgeleitet wurde.  Die Kinderzeichnungen wurden für Vermessungslinien gehalten und somit diese Beobachtung durch kreative Kombinationsgabe von einigen Gemeindebürgern in einen total unsinnigen Kontext gesetzt, der sich dann nach dem Stille-Post-Prinzip weiterverbreitete.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Gerüchte können natürlich auch stimmen, so auch tendenziell jenes Gerücht, von dem ich eingangs sprach. Wir sollten allerdings wissen, wie man sie korrekt handhabt. Generell ist es meiner Erfahrung nach so, dass nicht nur der Erfinder von Gerüchten (unabhängig, ob sie absichtlich oder unabsichtlich in die Welt gesetzt werden), sondern auch jener, der sie hört, eine Verantwortung hat, mit ihnen richtig umzugehen. Das bedeutet, es gibt – wenn man Gerüchte hört – folgende Grundregeln, wie man ihnen begegnen sollte:

  • Quellenangaben. Hört man ein Gerücht, sollte man den Erzählenden unbedingt danach fragen, woher er dieses Gerücht hat. Oftmals genügt schon zu wissen, wer dem Erzähler das Gerücht ursprünglich ins Ohr gesetzt hat, um das Gehörte getrost im Reich der Phantasie verorten zu können. Wichtig: es gibt kein Gerücht, das nicht von irgendjemandem stammt. Die Aussage „Ich habe gehört, dass…“ gibt es in der Praxis nicht, sofern der Hörende nicht an einer tiefgreifenden psychologischen Störung leidet, die ihm Stimmen im Kopf erscheinen lassen. Was es allerdings gibt, das ist ein: „Ich habe von … gehört, dass…“. So wird ein Schuh draus, wie der Bundesbürger sagt.
  • Abwägung des Wahrheitsgehaltes. Hat man erfahren, von wem der Erzählende das Gerücht hat und hat man aufgrund der Informationsquelle schon eine erste Einschätzung vorgenommen, wie es um den Wahrheitsgehalt des Gerüchts bestellt ist, sollte man sich auch um die Frage der inhaltlichen Glaubwürdigkeit kümmern. Ich habe einmal geschrieben, dass es in der Praxis bei vielen Fällen keine Wahrheit und keine Lüge gäbe, sondern vielmehr eine Glaubwürdigkeitswahrscheinlichkeit. Ein Beispiel: wenn ich im Oktober in Richtung Leutascher Sattel spaziere und rechts nahe der Felswand eine Gams sehe, spielt es – wenn ich später einmal von der Begegnung berichte – nicht wirklich eine Rolle, ob die Gams tatsächlich dort war, wenn mir keiner meine Wahrnehmung glaubt. Nun ist es aber so, dass man an diesem Berghang im Herbst öfter die lieben Tierchen beobachten kann, es also für sich genommen im Bereich des Möglichen liegt, dass ich die Gams wirklich bei meinem Spaziergang gesehen habe und man mir meine Erzählung deshalb wahrscheinlich unabhängig von der tatsächlichen Anwesenheit der Gams sehr wohl glauben wird. Würde ich behaupten, ich hätte auf meinem Weg einen Polarbären getroffen, sähe die Sache mit der Glaubwürdigkeit wohl wieder ein wenig anders aus. Fazit: erscheint das Gerücht inhaltlich völlig absurd, sollte man es an dieser Stelle gleich wieder vergessen.
  • Überprüfung der Fakten. Bevor man ein Gerücht weitererzählt, sollte man es auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfen. Der einfachste Weg ist: wird etwas über eine bestimmte Person behauptet, konfrontiere man diese damit und weise darauf hin, dass es eine unbewiesene Behauptung gibt, die hinter dem Rücken des Betroffenen kursiert. Es kann der Betroffene dann selbst entscheiden, ob er das Gerücht als wahr bestätigt, er den Inhalt des Gerüchtes zurückweist oder ob er erahnen kann, wie ein halbwahres Gerücht überhaupt entstanden ist. Vielfach ist den Betroffenen auch schon damit gedient, überhaupt von kursierenden Gerüchten zu erfahren, denn nur so können sie sich gegen sie zur Wehr setzen. Gehört ein Gerücht zu der Sorte, die man lieber nicht mit dem Betroffenen erörtern möchte (oder ist der Betroffene nicht für ein Gespräch greifbar), so kann man auch andere Wege der Recherche einschlagen. Natürlich macht man das nicht wie bei einer Straßenumfrage, denn damit würde man ja unsinnigerweise das Gerücht selbst weiterverbreiten, aber man kann den ursprünglichen Erzähler des Gerüchtes fragen, woher er seine Information bezieht und so die ganze Kommunikationslinie zurückverfolgen. Es kann auch sein, dass der, der das Gerücht ursprünglich in die Welt setzte, über Beweise oder Belege verfügt, die die Richtigkeit seiner Behauptung untermauern. Man sollte sich jedenfalls immer selbst ein umfassendes Bild über eine Sache machen, ehe man sie ungefiltert weiterträgt.

Hat man sich ausgiebig mit einem Gerücht beschäftigt und weiß man, ob es fiktiv oder wahr ist, kann man den Sachverhalt dann auch weitererzählen, vorzugsweise, in dem man seinen Gesprächspartner darauf hinweist, was die eigene Recherche so ergeben hat.

Abschließend noch ein Hinweis zum politischen Umgang mit Gerüchten. Leider sind wir in einer Epoche angekommen, in der es eine sehr niederschwellige gesellschaftliche Empörungskultur gibt. Will sagen: die Leute regen sich zu schnell über irgendetwas auf, lassen sich zu rasch emotionalisieren und sind meistens viel zu schnell bereit ihre persönlichen Aufreger an Dritte weiterzugeben ohne zu hinterfragen, ob die Begründung für die Aufregung in Wirklichkeit existiert oder nicht. Deshalb ist jeder gut beraten, wenn er über Gehörtes gründlich reflektiert und es – wenn es etwas ist, über dass er sich ärgert – erst nach einer Phase der Beruhigung weitererzählt. Berichte, die mit Wut und Zorn vorgetragen werden, tendieren dazu weiter dramatisiert zu werden und zwar bei stetig abnehmendem Wahrheitsgehalt. Gerade im politischen Umgang empfiehlt es sich deshalb, um keinen Schaden anzurichten, noch strenger Gerüchte zu hinterfragen als dies vielleicht im privaten Bereich notwendig ist.