Ein Abschied von vielen Bürgermeistern
08.06.2022 //
Am 30.05.2022 hatte Landeshauptmann Günther Platter die aus ihrem Amt ausgeschiedenen Bürgermeister zu einem Abschiedsfest eingeladen. Die Veranstaltung – samt Ehrung der Bürgermeister für ihre Verdienste für das Land und ihre jeweilige Gemeinde – wurde in Igls durchgeführt.
Ich hatte die Ehre bei dieser Veranstaltung als Begleitung meiner Mutter anwesend zu sein – zunächst mit etwas gemischten Gefühlen, weil eigentlich mein Vater als Begleitperson hätte mitgehen sollen, doch ihn hatte an diesem Tag die Sommergrippe erwischt. Aber im Verlauf des Abends hat sich meine anfängliche Unsicherheit vor allem durch die Worte des Landeshauptmanns aufgelöst. In seiner Wortmeldung hat sich Günther Platter nämlich auch bei den Angehörigen bedankt, die vielfach nicht wahrgenommen werden, aber dennoch viel familiären Rückhalt und viel Engagement leisten, um ihren Angehörigen in seiner oder ihrer Bürgermeister-Funktion zu unterstützen. Und wirklich, wenn man mir eines nicht nachsagen kann, dann, dass ich meine Mutter in ihrer Bürgermeister- und Vizebürgermeisterfunktion nicht tatkräftigst unterstützt hätte: Bereits vor ihrer Spitzenkandidatur 2004 haben wir in der damaligen BFS-Liste besprochen, wer die Liste in die Wahl führen könnte, und obwohl ich damals auch in Diskussion stand die Liste übernehmen zu können, habe ich mich dafür stark gemacht, dass Isabella Blaha die Spitze übernimmt. Sie hatte die besten Aussichten für die Liste ein starkes Ergebnis zu holen – meine eigenen Grenzen habe ich immer schon gekannt und deshalb bereits damals gewusst, dass meine Rolle besser im Hintergrund angelegt ist als ganz vorne. In allen Wahlkämpfen (bis auf 2022 natürlich), habe ich aktiv mitgekämpft und mein Bestes gegeben, damit die BFS ein starkes Ergebnis bekommt. Ich habe seit 2003 mit meiner Mutter fast jede Woche einen Jour fixe abgehalten, um die Gemeindepolitik und die strategische Lage mit ihr zu besprechen und sie zu beraten. Ich habe Initiativen wie die Agenda 21 für sie aufbereitet, im Vorfeld der Gründung des Vereins Alpenpark Karwendel Hintergrundgespräche für sie geführt, meine Bekannten in Rechts- und Finanzfragen aktiviert, um ihre Expertise in die Gemeinde einbringen zu können, mich bei TVB-Ortsausschusssitzungen oder mit den Vereinen, denen ich angehöre, hinter die Projekte der Gemeinde gestellt. Meine politischen Kontakte und mein Netzwerk haben ebenso für unser Scharnitz verwendet werden können und ich weiß nicht wie oft ich entweder selbst in den Medien ausgerückt bin, Presseaussendungen für unsere Bürgermeisterin verfasst habe oder mit PR-Fachleuten die eine oder andere schwierige Situation besprochen habe. Kurz: viele in unserem Dorf wissen vielleicht gar nicht, welche Rolle ich die vergangenen 18 Jahre übernommen habe und wieviel Arbeit und Herzblut ich in die Arbeit für unsere Gemeinde gesteckt habe. Nicht für mich persönlich – für unsere Heimat Scharnitz und mit dem Ziel, dass unsere Bürgermeisterin erfolgreich sein konnte. Und ich bin unserem Landeshauptmann dankbar, dass er dies so gesagt hat, denn nicht nur ich habe meine Mutter als Bürgermeisterin unterstützt, sondern in anderen Gemeinden viele Familienmitglieder ebenso ihre Partner und Angehörigen als Bürgermeister – es ist gut, dass diese Arbeit auch ganz oben im Land Wertschätzung erfährt.
Ich erwähne dies nicht deswegen, weil ich mir erwarte, dass irgendwer sich bei mir für meine 25 Jahre in der Gemeindepolitik bedankt, auch nicht, weil ich unserem neuen Bürgermeister ans Herz legen möchte vielleicht auch einen kleinen Umtrunk mit den ausgeschiedenen Mandataren des Gemeinderates und den Ersatzleuten zu veranstalten – nein, ich erwähne das deshalb, weil ich die vielen ScharnitzerInnen, die sich meiner Hintergrundarbeit nicht bewusst sind, auf etwas hinweisen möchte: es gibt Menschen im Ort, die haben sich über viele Jahre und Jahrzehnte in ihren Bereichen eine Fachkompetenz aufgebaut und sie sich erarbeitet. So wie ich Isabella Blaha beraten habe, gibt es viele andere, die sie in ihren Fachbereichen und bei bestimmten Themen ebenso beraten haben. Das heißt, die aktuelle Gemeindeführung hätte in Wirklichkeit dutzende Personen, die sie als Berater zu den unterschiedlichsten Themen beiziehen könnte. Denn je breiter die Expertise aufgestellt ist, desto wirksamer und erfolgreicher ist die Gemeindeführung (Anm.: wenn ich von „Gemeindeführung“ spreche, verstehe ich darunter Bürgermeister und Gemeinderäte und Ersatzgemeinderäte).
Kommen wir wieder zurück zum Abschieds-Abend für die Altbürgermeister. Ich habe mit vielen ehemaligen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern gesprochen und durch die Bank habe ich drei Punkte gehört, die sich nach dem Abgang der bisherigen Amtsinhaber bei ihren Nachfolgern eingestellt haben:
- Keiner will sich etwas sagen lassen. Jede Bürgermeisterin und jeder Bürgermeister (auch solche, die abgewählt wurden!) hat ihrem Nachfolger oder ihrer Nachfolgerin angeboten, jederzeit zur Verfügung zu stehen, zu helfen und beratend zur Seite zu stehen, wenn es gewünscht wird. Dennoch nehmen die Nachfolger dieses Angebot nicht wahr. Es scheint, als würden die „Neuen“ lieber ihren Telefonhörer zerbeißen, bevor sie mit ihrem Vorgänger oder der Vorgängerin telefonieren. Ich habe einige nette Anekdoten aus Gemeinden oder Städten mitgenommen, die ich hier nicht wiedergeben möchte, aber es stimmt mich schon einigermaßen nachdenklich, wenn es doch allgemeines Grundwissen sein sollte, dass jemand (also ein neuer Bürgermeister) nur so erfolgreich sein kann, wie es Leute gibt, die aktiv hinter ihm stehen und ihn mit ihrer Expertise unterstützen.
- Die Amtsnachfolger unterschätzen die Arbeit. Auch das ist eine Aussage, die ich von allen Gesprächspartnern gehört habe. Und eigentlich passt diese Aussage wunderbar zum ersten Punkt. Denn wenn diese Fehleinschätzung der Bürgermeister-Arbeit nicht vorhanden wäre, würden die „Neuen“ ja vielleicht öfter ihre Vorgänger konsultieren oder mehr Leute um sich scharen, die ihnen zuarbeiten oder ihnen mithelfen im einen oder anderen Bereich an einem Projekt zu arbeiten. Die Unterschätzung der Bürgermeister-Arbeit spiegelt sich in einem anderen Bereich wider: ein Altbürgermeister hat mir von einem Blatt Papier erzählt, auf dem er für seinen Nachfolger alle Funktionen aufgelistet hat, die mit seinem Amt verbunden sind – egal ob in Aufsichtsräten, Sprengelgremien, Planungsverbänden, Weggemeinschaften etc. Der Nachfolger soll der Überlieferung nach große Kulleraugen bekommen haben während sich gleichzeitig seine Gesichtsfarbe in ein winterliches Weiß verwandelt haben soll. Natürlich ist es die Aufgabe eines Möchtegerne-Bürgermeisters, der sich zur Wahl aufstellt, sich schon als Kandidat umfassend zu informieren, was mit seinem Amt verbunden ist. Aber sollte es der arme Tropf verabsäumt haben, dann ist es doch erst recht wieder wichtig, sich entsprechend Hilfe bei der Bewältigung der Aufgaben zu suchen. Und zwar nicht nur beim eigenen Personal, sondern ganz besonders bei Veteranen der kommunalpolitischen Sache.
- Die Zeiten werden härter. Auch eine wiederkehrende Aussage war, dass es zunehmend rauer in den Gemeinden zugeht. Jeder Bürger, der einen Paragraphen von einem Zierhaken unterscheiden kann, geht offensichtlich davon aus, dass er zu den Top-Juristen gehört und höchstpersönlich jede ihm subjektiv vorkommende Rechtsverletzung in der Gemeinde ahnden oder zur Anzeige bringen muss. In fast allen Fällen lösen sich solche Anzeigen, die die schüttelnde Faust im Kopf des Anzeigenden als Auslöser haben, in Luft auf, aber der Bürgermeister verbringt sinnlos Zeit bei der Staatsanwaltschaft um sich zu erklären. Diese Unsitte hält übrigens auch viele Leute davon ab, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren, denn sie denken sich, sie hätten diese permanenten Anfeindungen nicht notwendig. Leider gibt es Menschen, die (spätestens seit Corona) einen solchen Hass auf politische Funktionäre haben, dass sie sogar in der Gemeinde nicht davor zurückschrecken den Bürgermeistern ans Leder zu wollen. Das kann über eine anonyme Anzeige erfolgen oder sogar (ich hypothetisiere hier jetzt nur!!!) solche Blüten treiben, dass jemand zum Beispiel vielleicht kurzerhand bei Sichtung seines Bürgermeisters die Polizei informiert, damit dieser unvermutet in eine Alkoholkontrolle fährt und dabei seinen Führerschein verliert. Die Gehässigkeit der Leute, politischen Mandataren mit der Staatsmacht eins auswischen zu wollen, ist heute auf ein unerträgliches Maß gestiegen und viele ehemalige BürgermeisterInnen sagen, sie sind froh, diese Anfeindungen nicht mehr länger erleben zu müssen.
Es sind aber nicht nur kritische Worte, die man in der Runde der AltbürgermeisterInnen gehört hat, es gibt auch Ratsschläge, die ich mir geben habe lassen. Ich wollte im Gespräch gerne wissen, welche Ratschläge die ehemaligen BürgermeisterInnen für die aktiven Kommunalpolitiker haben. Die drei wichtigsten Botschaften fasse ich hier zusammen:
- Bitte nichts zerreden. Eigentlich war der Ratschlag: „Keine ausufernden Diskussionen zulassen“ – das heißt im Klartext, wenn ein Thema in den Gemeinderat kommt, dann muss es im Ausschuss so vorbereitet und ein Konsens der Mehrheit hergestellt sein, dass der zuständige Referent oder Ausschussobmann beim Tagesordnungspunkt den Inhalt nur mehr vortragen braucht, damit auch die Öffentlichkeit weiß, um was es geht. Dann folgen kurze Wortmeldungen, damit auch kritische Stimmen ins Protokoll aufgenommen werden können, aber das war’s auch schon. Dann wird abgestimmt. Sollte in seinem Gemeinderat, so hat mir ein Altbürgermeister gesagt, jemand versucht haben die Diskussion quasi zurück zum Start bringen zu wollen und wären andere Gemeinderäte darauf eingegangen, so wäre der Punkt sofort vertagt und an den Ausschuss zurückverwiesen worden, weil dieser ihn offensichtlich nicht ausführlich genug behandelt hat. Ich finde diesen Ansatz sehr wirkungsvoll und erinnere mich ihn – allerdings mit mangelndem Erfolg – in der letzten Scharnitzer Gemeinderatsperiode auch schon vorgeschlagen zu haben.
- Gestalten statt verwalten. Ja, das klingt wie ein Plakatspruch vor einer Wahl, aber offensichtlich gibt es immer noch Listen, die glauben, ihr Programm nach der Wahl in die Rundablage legen zu können. Mehrfach habe ich gehört, dass die Herausforderungen für eine Gemeinde nicht weniger werden. Und wenn man glaubt, es genüge nur die eigene Infrastruktur am Leben zu erhalten oder die Grundaufgaben der Gemeinde zu erfüllen, dann ist das zu wenig. Man muss in die Zukunft denken und da kommt man nicht umhin die eigene Gemeinde weiterzuentwickeln, Projekte anzustoßen und immer zu hinterfragen, was man machen kann, um längerfristig eine stärkere Finanzkraft zu erreichen. Auch das ist ein Ratschlag, den ich erwähne, weil ich ihn (ohne Bürgermeister gewesen zu sein) auch immer gerne Gemeindemandataren ans Herz gelegt habe.
- Kreativität und Mut sind gefragt. Vom Gemeindebundpräsidenten über den Landeshauptmann bis hin zu den AltbürgermeisterInnen: immer wieder hat man Anekdoten erzählt bekommen, wie man mit Schläue und Kreativität mit Regeln, Vorschriften und Usancen umgegangen ist, um für die eigene Gemeinde etwas Positives zu erreichen. Es hat niemand der vormaligen BürgermeisterInnen dabei das Gesetz gebrochen oder etwas Unrechtes getan, aber eben die vorhandene Rechtslage etwas flexibel für sich nutzbar zu machen. Sich an Paragraphen festzubeißen ist dagegen offenbar auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Immer wieder muss man kreativ nachdenken, wie man ein Projekt mit den aktuellen Rahmenbedingungen umsetzen kann, damit eine rasche und erfolgreiche Verwirklichung am Ende gewährleistet werden kann. Diese Botschaft, die mir die BürgermeisterInnen mitgegeben haben, bedeutet nichts anderes, als dass die „Neuen“ nicht in konventionellen Bahnen denken sollen, sondern mutig neue Wege beschreiten müssen und dabei Lösungen finden, die vielleicht nicht ganz stur nach den Vorschriften funktionieren.
Zusammengefasst: was mir von diesem Abend so wichtig in Erinnerung geblieben ist, ist der Umstand, dass neue Bürgermeister gut daran tun, sich von Leuten, die bisher in ihren Gemeinden aktiv mitgearbeitet haben (insbesondere ihren Vorgängern), beraten zu lassen, um selbst erfolgreich zu sein. Denn die bisherig aktiven Mandatare haben allgemeine und auch situationsspezifische Ratschläge zu bieten, die ihnen helfen. In Tirol haben sich – so wurde uns erzählt – ca. 40 % der Amtsinhaber freiwillig oder unfreiwillig aus ihrem Bürgermeisteramt verabschiedet. Diese hohe Zahl an Gemeinden hat es letztlich auch verdient, dass ihre neuen Bürgermeister bestmöglich in ihrem Amt ihre Leistung bringen – denn ohne funktionierende Gemeinden geht es dem ganzen Land Tirol schlecht.
Abschließend noch ein Wort zu Scharnitz: ich habe meinen Blog hier auch als Beitrag verstanden, Punkte und Themen in die Diskussion einzubringen, selbst wenn man mich nicht explizit darum bittet meine Meinung zu sagen. Ich möchte nämlich gerne Mandatare und politisch Aktive motivieren mehr aus ihrem Potenzial zu machen und damit die Gemeinde weiter voran zu bringen. Sollten also manchmal etwas kritischere Bemerkungen von mir kommen, ist das ausschließlich vor diesem Hintergrund zu sehen. Wie ich in meiner letzten Gemeinderatssitzung gesagt habe: ich bin ja nicht gestorben und es kann mich ja auch jeder vom Bürgermeister abwärts um meine Meinung, Mithilfe oder Unterstützung bitten, wenn man sich in einem Bereich unsicher ist, in dem ich einen Beitrag leisten kann.